Knapp fünf Jahre ist es her, seitdem der beispiellose Erfolgslauf von „Amour“ („Liebe“) im Wettbewerb der Filmfestspiele Cannes begann. Unzählige Ehrungen gab es für das auf Französisch gedrehte Drama um ein altes Ehepaar (verkörpert von Jean-Louis Trintignant und der kürzlich verstorbenen Emmanuelle Riva), dessen Liebe durch Krankheit und Alter auf die Probe gestellt wird. Als ungewöhnlich milde beschrieb die internationale Filmkritik den Film, wird Hanekes Werk doch gemeinhin von gesellschaftlichen Ängsten und Mechanismen der Gewalt bestimmt.
Auch der Nachfolgefilm dürfte sich mitunter um das Alter drehen; neben Trintignant stand für „Happy End“ auch Isabelle Huppert erneut für Haneke vor der Kamera. Erzählt wird von einer gutbürgerlichen Familie im nordfranzösischen Calais, deren Schicksal von Migranten betroffen ist – „so wie wir alle betroffen sind“, wie Haneke zuletzt in einem „Kurier“-Interview sagte. „Bis das Ganze dann eskaliert.“ Es sind sein gnadenloser Blick und seine kompromisslosen Analysen, die Hanekes Filme derart verstörend und ihn in den vergangenen Jahrzehnten weltberühmt gemacht haben.
Das Stammparkett des Autorenfilmers aber ist jenes in Cannes. Gleich sein Kinoerstling „Der siebente Kontinent“ war dort 1989 in einer Nebenschiene gelaufen. Der Gewaltschocker „Funny Games“ wurde schließlich 1997 nach 35 Jahren der erste österreichische Wettbewerbsbeitrag in Cannes, die Filme „Code Inconnu“ (2000) und „Wolfzeit“ (2003) wurden beim Festival kontrovers besprochen. Für die Jelinek-Verfilmung „Die Klavierspielerin“ mit Isabelle Huppert gab es an der Cote d’Azur 2001 den Großen Preis der Jury, für „Cache“ 2005 den Regiepreis, für die schwarz-weiße Faschismusparabel „Das weiße Band“ (2009) und „Amour“ (2012) zwei Goldene Palmen hintereinander. Kein Wunder also, dass mit einer Premiere von „Happy End“ beim Festival im Mai fix gerechnet wird.
Am 23. März 1942 als Sohn der österreichischen Schauspielerin Beatrix von Degenschild und des Düsseldorfer Regisseurs und Schauspielers Fritz Haneke in München geboren, wuchs Haneke in Wiener Neustadt auf und versuchte sich neben dem Studium der Philosophie und Psychologie in Wien zunächst als Autor sowie Film- und Literaturkritiker. 1967 bis 1971 arbeitete er als Redakteur und Fernsehspieldramaturg beim Südwestfunk in Baden-Baden, in dieser Zeit entstand sein erstes Drehbuch „Wochenende“.
1973 drehte Haneke seinen ersten Fernsehfilm „…und was kommt danach? (After Liverpool)“. Es folgten TV-Filme nach Vorlagen von Ingeborg Bachmann, Peter Rosei und Franz Kafka. Den Kinoauftakt Ende der 1980er-Jahre beging er mit seiner „Trilogie der emotionalen Vereisung“, zu der auch „Bennys Video“ und „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ zählen. Vom anschließenden „Funny Games“ (1997) fertigte Haneke zehn Jahre später ein US-Remake an, das bei der Kritik und beim Publikum zwiespältig aufgenommen wurde. Im gleichen Jahr erhielt der Filmemacher, der seit 1983 mit seiner Frau Susanne zusammenlebt und einen Sohn hat, in Österreich das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.
Anfang der 1970er-Jahre hatte Haneke auch als Bühnenregisseur am Stadttheater Baden-Baden mit „Ganze Tage in den Bäumen“ von Marguerite Duras debütiert. Es folgten Theaterinszenierungen in Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Hamburg, München und Wien. 2006 – zu jener Zeit schon seit vier Jahren Professor für Regie an der Wiener Filmakademie – gab er exakt an Mozarts 250. Geburtstag an der Pariser Oper sein Debüt als Opernregisseur: Mit seiner modernen Inszenierung von „Don Giovanni“ spaltete er das Publikum.
Auch mit „Cosi fan tutte“ sieben Jahre später in Madrid setzte er sich über Interpretationskonventionen hinweg und stellte die Suche nach Liebe und Wahrhaftigkeit ins Zentrum. Im selben Jahr erhielt er den international renommierten Prinz-von-Asturien-Preis in der Sparte Kunst. Weitere Pläne fürs Musiktheater verneinte er damals. Die wochenlange Arbeit mit der Musik habe zwar Spaß gemacht – „aber es ist mir schlicht zu viel Arbeit“. Mit über 70 achte er auf seine Zeit, erzählte er der dpa. „Da mache ich lieber Filme.“ Sein im Anschluss an „Amour“ geplantes Filmprojekt „Flashmob“ über die mediale Revolution durch das Internet ist zwar gescheitert. Doch Haneke ist keine Müdigkeit anzumerken – und liefert nun doch ein „Happy End“.